Am 18.7. diskutierten wir in der SAP Training und Change Kaffee-Ecke über Widerstände bei organisatorischen Veränderungen. Prof. Dr. Jürgen Radel von der HTW Berlin leitete das Thema ein und beantwortete Fragen wie: Wann verändern sich Menschen und wie kann man nachhaltigen Wandel herbeiführen?
Check-in und erste Diskussion
Wir begannen mit der Frage: "Was war der letzte Widerstand gegen eine Veränderung, den Du gespürt hast und was könnten Gründe dafür sein?" Antworten reichten von "Kurzarbeit trotz hoher Arbeitslast" bis "Last Moment of Widerstand: Fiori NEIN!". Im Anschluss startete Prof. Radel mit seinem Impuls.
Intro: Lust oder Schmerz - Wann verändern sich Menschen?
Laut Jürgen Radel verändern sich Menschen entweder aus Lust oder Schmerz. Ein anschauliches Beispiel nannte er aus den Anfängen der Pandemie und der Frage, ob Studierende bei Online-Vorlesungen gezwungen werden sollten, ihre Kameras einzuschalten – eine Veränderung, die sofort starken Widerstand hervorgerufen hat und massiven Stress bedeutete.
Widerstand als solcher ist für Jürgen zunächst positiv, da es sich um Energie handelt, die aber nur in eine andere Richtung geht als geplant / gewünscht.
Jürgen ist der Ansicht, dass im Kontext “Change managen” zwei Probleme zu berücksichtigen sind: Offensichtlich läuft es im Moment nicht so gut oder nicht mehr gut, deswegen gibt es einen Change. Das zweite Problem ist, dass betroffene Personen nicht das gewünschte veränderte Verhalten zeigen, so dass sie gemanagt werden müssen. Dies wiederum führt zu Widerständen, denn im Zweifel will verändert werden
Eine weitere Frage, die Jürgen in diesem Kontext in den Raum warf, war, ab wann Managen Manipulation ist und ob Manipulation schlecht ist sowie die Frage, was Manipulation von Projektmanagement unterscheidet.
Jürgen meinte, dass es mindestens drei Hauptprobleme gibt, die Widerstand in Organisationen auslösen:
Veränderungsprojekte konzentrieren sich oft zu sehr auf die Zukunft und schneiden die Vergangenheit abrupt ab oder werden diese als negativ. Dies führt zu einem emotionalen Ungleichgewicht, da Menschen keine Gelegenheit haben, sich von alten Praktiken (z. B. Excel vs. ERP) zu verabschieden. In Changeprojekten bzw. -prozessen steht immer die Zukunft, die Vision im Vordergrund.
Ein wesentlicher Aspekt des erfolgreichen Change Managements ist es, genug Zeit für das Loslassen, den Übergang und die emotionale Übergangsphase zu investieren. Methoden wie das Verwenden von Ritualen und das Würdigen und Abschließen vergangener Prozesse können hier hilfreich sein.
Auch wenn scheinbar alle Beteiligten zustimmen, kann dies eine Illusion sein. Jürgen betonte, wie “trainiert” wir als Mitarbeitende im Kontext von Hierarchien und Zwischentönen sind. Oft werden Annahmen und Fantasien seiner Ansicht nach nicht hinterfragt und dementsprechend nicht aufgeklärt.
Jürgen Radel ging auf den Begriff "Violent Politeness" (“gewaltsame Freundlichkeit”) ein – darunter ist zu verstehen, dass die die wahre Haltung der Beteiligten oft im Verborgenen bleibt.. Violent Politeness ist, wenn man aus Angst, z. B. davor unhöflich zu erscheinen, wichtige Dinge nicht anspricht und dadurch größere Probleme verursacht.
Eine Form von "Violent Politeness" ist die Immunität: Beteiligte sind vermeintlich dem Change gegenüber offen eingestellt und unterstützen ihn (und glauben das auch selber), sind aber immun gegenüber der Veränderung, da sie Commitments haben, die dazu konträr laufen -sogenannte versteckte Competing Commitments.
Ein weiterer Punkt, den Jürgen Radel in dem Kontext nannte sind sog. Seitenwetten. Diese sind Zusagen, die Beteiligte woanders gemacht haben und die dazu führen, dass sie ein Vorhaben nicht unterstützen – hier ist die Aufgabe, diese Verpflichtungen zu erkennen.
Eine weitere Form von "Violent Politeness" ist die Organisational Silence - erlernte Hilflosigkeit (“es macht keinen Sinn, etwas zu sagen, da sich eh nichts ändert”), so dass die Organisation passiv wird. Das führt dazu, dass diese Beteiligten still sind und kein Feedback geben. Ein Grund dafür ist, laut Jürgen Radel, ein in Organisationen nicht aussprechbares Thema der inkompetenten Führungskräfte, die Vorhaben entscheiden.
Zunächst ging Jürgen Radel auf das Modell PRO ein: Person, Rolle und Organisation.
Gemäß Jürgen ist das Individuum im ersten Moment in der Organisation irrelevant - entscheidend ist die Rolle, die es einnimmt und über die das Individuum eine Verbindung zur Organisation bekommt.
Diese Rollen geben Halt, sind jedoch ein Fantasienkonstrukt und mit entsprechender Erwartungshaltung vom Rolleninhaber und der Organisation an die Rolle verbunden. Im unwahrscheinlichen Idealfall ist die Erwartungshaltung von beiden Seiten deckungsgleich.
Wenn Rollen übertragen bzw. Rollen angenommen werden, kann viel Intransparenz und Raum für Interpretation eröffnet werden.
Jürgen ging zudem darauf ein, was passiert, wenn die Organisation größer wird: die Rolle wird kleiner und irrelevanter. Wenn z. B. neue Prozesse eingeführt werden in IT-Projekten und Prozesse definiert werden, führt dies zu mehr Transparenz. Transparenz geht einher mit einer besseren Nachverfolgbarkeit und Messbarkeit von Aktivitäten.
In Veränderungsprozessen sind die Individuen in sog. Zonen unterwegs: Comfort Zone (“Rauskommen ist ganz ok”), irgendwann fängt die Discomfort Zone an (“da habe ich nicht für unterschrieben”), Panik Zone (Entscheidungen sind risikoavers und kurzfristig orientiert).
Das Leiden des Individuums an der Organisation
Der Wandel bringt oft Anpassungsstörungen mit sich. Organisationen müssen daher Mechanismen entwickeln, um Personen mit Anpassungsstörungen zu unterstützen. Jürgen Radel wies auf die wachsende Notwendigkeit professioneller Begleitung hin, besonders im Hinblick auf die steigende Anzahl psychischer Belastungen (siehe auch Jonathan Haidt – Anxious Generation (https://jonathanhaidt.com/anxious-generation/). Zudem ging Jürgen Radel darauf ein, dass dauernde Veränderung bzw. Dauerreiz nicht empfehlenswert ist, da die Betroffenen auch Zeit zum Heilen bzw. für eine Balance brauchen.
Wie können wir mit Widerständen umgehen?
Eine Empfehlung, wie der Wandel unterstützt werden kann, ist, Schlüsselpositionen zu identifizieren: wer sind die wichtigen Player mit Wissen, das schwer zu vermitteln ist und diese Personen individuell zu unterstützen.
Gegebenfalls auch darin zu unterstützen, Seitenwetten zu bedienen, um Stress zu mindern. Darüber hinaus gilt es, Betroffene zu Beteiligten zu machen, wobei sich oft die Frage stellt, WIE. Jürgen sprach in dem Kontext von Struktur geben, um Stress zu mindern.
Strukturgebung bietet den nötigen Halt und reduziert Stress in unsicheren Zeiten. Rituale und routinemäßige Meetings können ein Gefühl der Stabilität vermitteln. Jürgen Radel verwendet hier die Metapher der "gewaltlosen Struktur" – ein Balanceakt zwischen Führung und Kontrolle.
Die Herausforderung besteht darin, die Rollen so zu gestalten, dass sie sich mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Organisation decken, ohne das Individuum emotional zu destabilisieren.
Als ultimo ratio erwähnte Jürgen Radel die Trennungskultur, wobei dabei immer zu klären ist, ob es um das Wollen oder können geht. Fehlendes Können kann man unterstützen, bei fehlendem Wollen sollte man die Trennung reflektieren.
Diskussion rund um Widerstände
Im Anschluss an den Impuls entstand eine rege Diskussion mit unterschiedlichsten Hinweisen und Ideen gerade auf die Frage hin, wie die Teilnehmenden mit Widerständen umgehen:
Literaturhinweise und weiterführende Links
Wer das SAP Training and Adoption Forum verpasst hat, findet die umfangreiche Summary inklusive aller Recordings und Slides hier https://community.sap.com/t5/sap-training-and-change-management/r%C3%BCckblick-auf-das-sap-training-...
Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die lebhafte Diskussion und freuen uns auf die nächste SAP Training und Change Kaffee Ecke. Zur Anmeldung geht es hier https://events.sap.com/de/sap-change-training/de/home
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